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Gigi und der letzte Sommerabend – oder „es is no ned vorbei!“

Man weiß nie, was noch kommt, aber mein Gefühl sagte mir, dass das einer der letzten Abende dieser Art in diesem Jahr sein würde.

Die Luft war herbstlich lau, erzählte also schon vom Ende des Sommers. Eine Stimmung zwischen „noch einmal alles geben“ und Abschied nehmen. Dass wir uns für dieses Finale eine grandiose Bühne ausgesucht hatten, wussten wir nicht, denn eigentlich wollten mein erwachsener Sohn und ich nur etwas essen gehen und an diesem wahrscheinlich letzten Sommerabend das Leben a bisserl genießen.

Wir hatten uns einen netten Italiener gegenüber der Großmarkthalle ausgesucht. Tische draußen auf dem Gehweg. Nichts Überkandideltes – Sendling halt, authentisch. Und so waren auch die meisten Gäste, die auf dieser Bühne erschienen.

Da waren zunächst der Rentner Karl Heinz mit seinen langen grauen Haaren und seiner gemütlichen Wamp’n und sein Freund der etwa gleichaltrige Künstler Fernando (ein Künstlername?). Ein schwarz gekleideter, langer Schlacks mit einem Pork-Pie-Hut, der wahrscheinlich ein bisschen an Beuys erinnern sollte, auch wenn der berühmte Künstler eine andere Hutform bevorzugte.

Die beiden waren mindestens schon bei der zweiten Flasche Rosé, der Ferdl erzählte gerade von seiner letzten Ausstellung, als sich Henriette am Nachbartisch eine Pasta mit Meeresfrüchten bestellte. Dazu ein Glas Rosé.

Nein, die Dame trinkt bei uns mit, mischte sich Karl Heinz in die Bestellung ein, bringst nur a Glasl – Wein haben wir genug, wies er den Service an.

Come volete! Der Ober zuckte mit den Schultern und war verschwunden.

Ich bin übrigens der Karl Heinz und wia hoast nacha du?

Ich bin die Henriette. Seid ihr immer so „zuvorkommend“?

Nur wenn wir gut gelaunt sind. Also immer! Wohnst du auch in der Gegend?

Ich bin Diplom-Psychologin und habe hier ums Eck meine Praxis. Ich liebe das Viertel. Auch, die vielen kleinen Geschäfte, kennst du den Antonio, da kannst du selbst gemachte Pasta kaufen…herrlich…

Ganz großes Kino also schon im ersten Akt. Ein paar Oldies, die es echt noch verstanden das Leben zu genießen, auf andere Menschen spontan zuzugehen und miteinander zu flirten. „Schau, das Leben ist auch in diesem Alter noch nicht vorbei“, sagte ich zu meinem Sohn, was dieser mit „echt coole Socken“ quittierte. „So möchte ich später auch mal sein“, schoss es mir durch den Kopf.

Fernando hatte sich in der Zwischenzeit ein paar Tische weiter eingenistet. Auch hier zwei Oldies – er mit Schiebermütze, 83 Jahre und top fit und ehemaliger DJ – ein berühmter DJ wie sich später herausstellen sollte. Sie, Johanna, auch schon Ende 60 mit einem geblümten Hippiekleid und einer Ausstrahlung wie das blühende Leben. Und ein paar Lachfalten, die man sich im Leben erst mal verdienen muss.

Servus Gigi, wen hast denn da heute dabei?

Das ist die Johanna, das is a ganz a Nette. Wir kennen uns auch erst seit einer Stunde. Setz dich zu uns.

Bist du auch aus dem Viertel? Wollte der Ferdl wissen und steckte sich eine weitere Zigarette an.

Nein, ich bin in Milbertshofen aufgewachsen. Arme Verhältnisse, aber trotzdem a schöne Kindheit und vor allem Jugend. Mei, was ham mir Blödsinn g‘macht damals. Das war a wilde Zeit, Ende der 60er/Anfang 70er Jahre. Wir waren alle Hippies, freie Liebe und so, mei war des sche… Dann hab ich mich aber verliebt, geheiratet, bin nach Baldham gezogen, ein schönes Haus haben wir g’habt, ganz bürgerlich also. Aber dann is alles schiefgelaufen, Streit, Scheidung, Existenzangst, Details erspar ich euch. Und danach hat’s mich nach Sendling verschlagen und da hab ich ein neues Leben ang‘fangen. Ich betreue eine Vereinsgaststätte – und mir geht’s so gut. That’s my life! So is es, und schön ist es…mit allen Höhen und Tiefen.

That’s my life! Dieses Annehmen des eigenen Schicksals, dieses Einverstanden sein mit der eigenen Geschichte hatte etwas sehr Versöhnliches und hat mich daher sehr berührt. Doch das Schauspiel auf dieser Bühne war noch nicht zu Ende. Um den Sinn dieser Parabel zu verdeutlichen, gab es auch eine Antipodin.

Hinter uns saß Claudia, geschätzte 52 Jahre. Die Falten im Gesicht ließen sich nicht mehr ganz überschminken, sie war dennoch nicht unattraktiv, trug Designerjeans und Armani-Bluse. Ein Hauch von Schickeria umwehte sie, trotz der überaus miesen Laune. Sie wurde wohl gerade aus dem Society-Paradies vertrieben, spielte die verbitterte Opferrolle in unserem Stück und ätzte ins Handy: „Dieses Arschloch von Typ, jetzt sag mal du als Mann, ich möchte da eine Meinung hören, das ist doch allerunterste Schublade…“

Als sie endlich aufgelegt hatte und gerade zahlen wollte, stand Gigi plötzlich vor ihr.

Servus, i bin da Gigi – ich bin berühmt.

Was für eine Eröffnung, raunte uns der Ober zu. Und wir mussten echt schmunzeln. Wir bestellten auch gleich noch einen Wein nach, denn dieses Schauspiel wollten wir weiter miterleben.

Und ich bin die Claudia, ich habe heute Geburtstag und meine Freundin ist nicht gekommen. Es ist ein Sch…tag, mein Mann hat sich eine Neue zugelegt, die ist halb so alt wie ich, und jetzt will er mich auch noch übern Tisch ziehen. Aber nicht mit mir….

Is des dei Porsche da, des knallgelbe Cabrio?

Ja, mit Keramik-Bremsen, die kosten alleine schon 8000 Euro. Nächste Woche wird er verkauft. Muss sein. 149.000 Euro, falls du Interesse hast.

Ned direkt, aber i wollt scho an Briaf eiwerfa, weil i gedacht hab des is a Postauto… Woast was Mädl, wenn dich dei saubere Freundin an deim Geburtstag versetzt hod, dann spendiere ich dir jetzt an Prosecco. Jetzt geh ma rein an die Bar, trinken a bisserl was und du erzählst mir dei G‘schicht. Und morgen schaut de Welt scho wieda anders aus…

Bild: pexels-tim-mossholder-11973355

Hier findest du eine weitere kurze Geschichte.

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