Die Arbeit in der Gastronomie wird oft als „Schule des Lebens“ betitelt. Oh, wie wahr, finden wir! Man arbeitet und lernt – und zwar nicht nur woran man einen trockenen Wein erkennt. Und während man den Cappuccino serviert, wird man auch noch ganz nebenbei – selbst – mit Geschichten bedient.
Tinder Dates: Amore mio oder Match o dio?
Es ist 19 Uhr. Mit der quirligen Jazz-Musik in den Ohren stehe ich hinter der Bar. „2 Gin Tonic, eine Flasche Lugana und 3 mal 0,2 und natürlich nur !1 mal! 0,1 Rosé mit Eiswürfeln („aber auch bitte nicht zu kalt“)“, gehe ich nochmal teils kopfschüttelnd, aber doch amüsiert den Bestellzettel durch. Okay, jetzt schnell. Die Gäste warten. Während ich hinter der Bar mit Gläsern, Flaschen und Eiswürfeln jongliere, kommt ein junger Mann herein. Jura Student? Ziemlich sicher. Der lange Mantel, der dünne um den Hals geschlungene karierte Schal, die schwarzen Lackschuhe – klare Indizien. Mit einem Kopfnicken begrüße ich ihn, als er auch schon mit einem verlegenen Lächeln und zudem einem leicht hektischen durch den Raum tigernden Blick auf mich zu kommt. „Ähm, hallo! Ich hab reserviert. Für…zwei…?“, er formuliert den letzten Teil des Satzes eher wie eine Frage und mir wird klar: Tinder-Date! Ich sehe mich um und deute auf eine blonde langbeinige Dame im Minirock, die verstohlen über ihren Rosé blickt und wie als würde sie einen Luftballon anstupsen mit ihrem Zeigefinger in die Luft tippt, um auf sich aufmerksam zu machen. „Das ist sie wohl“, bringt Monsieur Gesetzesbuch zähneknirschend hervor und geht mit seinem nicht vorhandenen Enthusiasmus zu ihr, sodass ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen kann.
Ich vermute, er wäre gerade lieber wieder mit seinen Lackschühchen aus dem Laden herausspaziert. Aber das wäre ja nun wirklich nicht gerade anständig gewesen. Außerdem, jeder weiß: Die inneren Werte zählen! Ich beschließe, dieses Tinder-Date im Auge zu behalten und stelle nun endlich das letzte Glas Vino fertig. Hier bei der Arbeit in der Bar sieht man die unterschiedlichsten Menschen zusammenkommen: Studenten, die sich nach einer bestandenen Prüfung mit Vino volllaufen lassen, einsame Menschen auf der Suche nach ihrem Seelengefährten, schnelle Espresso-Energie-Tanker, Treffen von Freunden und Familien – und eben auch Tinder-Dates…Eines der spannendsten Konstellationen!
Mit einem Auge schielend auf den Juristen und die…Influencerin?…verteile ich nun endlich die Bestellungen auf die Tische, als ein zweites Pärchen die Bar betritt. Gleich ist klar: Sie kennen sich zwar kaum, aber verstehen sich jetzt schon glorreich! Sie bestellen sofort eine Flasche Wein. Das Zeichen für: Wir verstehen uns gut – zumindest über eine Dauer einer ganzen Weinflasche. Als kleiner Vergleich: Ganz anders bei dem ersten Tinder-Date: 2 mal 0,1 Rosé. Ein Statement.
Der Abend nimmt weiter seinen Lauf, begleitet vom Übertrumpfen zwischen dudelnder Jazz-Musik und lauten Stimmen und Lachen – und meinen Füßen, die sich immer mehr nach „ab ins weiche Bett“ anfühlen. Anders als das Tinder-Fail-Pärchen, das schon die Lokalität matchlos verlassen hat, bestellt Tinder-Date Numero 2 die zweite Flasche. „Nochmal einen von…ähh…was war das…?….hihi“, langer intensiver Blick zu ihrem Typen. „Haha…nochmal eine Flasche Roseee bitte“, vibriert er mit seiner tiefen Stimme und der Madame fallen vor Verlangen fast die Augen aus dem Kopf. „Genauuu!“
Lachend drehe ich mich um. Das wurde definitiv was mit den beiden heute Abend! Als ich die zweite Flasche an den Tisch bringe, sitzen sie sich schon nicht mehr gegenüber, sondern nun Stuhl an Stuhl. Als der Abend sich immer mehr der Nacht neigt, bestellen sie – man glaubt es kaum – noch eine dritte Flasche Wein. Die wiederum bei dem Pärchen alle Hemmungen fallen lässt: Sie sitzt nun knutschend auf seinem Schoss. Spekulationen, ob das Date nun geglückt ist – oder nicht – sind obsolet. Eines ist klar: Eine vierte Flasche gibt’s nicht. Wer weiß was sonst noch passieren würde!
[…] Hier findest du eine weitere kurze Geschichte. […]